Wie können die hochgesteckten Klimaziele noch erreicht werden? Eine Antwort lautet: der Luftverschmutzung über CO₂-Emissionszertifikate einen Preis geben. Langfristig erwarten Experten ein deutlichen Preisauftrieb der Zertifikate. So profitieren Anleger.
10.11.2023 | 07:00 Uhr von «Anna-Maria Borse»
Lange haben sie recht behalten, die Anhänger von Investments in CO₂-Emissionszertifikate. Mehr als verdreifacht hatte sich der Preis für die europäischen Emissionsrechte (European Union Allowance, EUA) – von 32 Euro Anfang 2021 auf in der Spitze 101 Euro Ende Februar 2023. Johannes Maier vom Asset-Manager Bantleon sprach von einem „fundamentalen Trend“. Eine über den bisherigen Planungen liegende Verknappung des Angebots an Zertifikaten werde den Preis weiter in die Höhe treiben. „Die Chancen von CO₂-Zertifikaten auf eine Rolle als grünes Gold dürften in dieser Dekade mehr als eine Fata Morgana sein.“ Zuletzt ist der Aufstieg des „grünen Goldes“ allerdings in Stocken geraten. Der Preis liegt jetzt wieder bei 80 Euro, was im internationalen Vergleich dennoch sehr viel ist.
Das europäische Emissionshandelssystem ETS (Emission Trading System) gibt es schon seit 2005. Das Ziel: die CO₂-Emissionen nach dem Verursacherprinzip mit einem Preis zu belegen und insgesamt zu begrenzen. Anfangs lief das System nicht rund, viele Jahre pendelte der Preis um lediglich fünf Euro – viel zu niedrig für einen Effekt auf die Dekarbonisierung. Diverse Anpassungen brachten dann aber deutliche Besserungen, der Preis kletterte nach oben.
Andere Länder haben ähnliche Systeme implementiert, etwa Kanada, Japan, Neuseeland und Großbritannien, auch Schwellenländer wie China, Indonesien, Südkorea und Südafrika. Anfang 2023 waren schätzungsweise 23 Prozent der globalen Emissionen mit einem Preis belegt – nach nur fünf Prozent 2010.
Das Risiko, dass das System insgesamt scheitert, ist also wohl vom Tisch. Auch für negative Nebenwirkungen scheint eine Lösung gefunden: das CO₂-Grenzausgleichssystem (CBAM), auch Klimazoll genannt. Dieses soll verhindern, dass die CO₂-intensive Industrie wegen der hiesigen Bepreisung ins Ausland abwandert. Im Oktober startete die Pilotphase, ab 2026 müssen EU-Importeure dann die Differenz zwischen dem europäischen CO₂-Preis und dem Preis des Produktionslandes draufzahlen.
Investieren mit Zertifikaten und ETCs
Für Investoren ist das Thema schon lange interessant. Viele überzeugt die Idee, von der fortschreitenden Dekarbonisierung zu profitieren und den Prozess zu unterstützen. Direkt mitmischen an speziellen EUA-Börsen wie etwa der European Energy Exchange (EEX) in Leipzig können die meisten Investoren allerdings nicht. Die Zulassungsvoraussetzungen sind hoch. Doch die indirekte Teilnahme ist möglich.
Die Société Générale hat dafür schon länger Zertifikate im Angebot. Basiswert sind ICE-EUA-Futures-Kontrakte, die an der Intercontinental Exchange in Amsterdam gehandelt werden. Es gibt Partizipationszertifikate (ISIN: DE 000 CU3RPS 9), aber auch Turbo- und Faktor-Optionsscheine. Die Produkte kommen gut an. „Die Zertifikate gehören bei uns stets zu den beliebtesten überhaupt“, berichtet Patrick Kesselhut, Zertifikateexperte der Bank. Auch Vontobel hat verschiedene Zertifikate auf den Future im Angebot (ISIN: DE 000 VX1 0C0 2, DE 000 UBS 1EA 1), ebenfalls Unicredit (ISIN: DE 000 HW6 C02 5) sowie die DZ Bank (ISIN: DE 000 DJ2 AAA 1).
Eine weitere Investmentmöglichkeit sind physisch besicherte Exchange Traded Commodities (ETC), also börsennotierte Inhaberschuldverschreibungen. Im September 2021 hat ETP-Emittent WisdomTree einen vollständig mit Staatsanleihen besicherten ETC auf die EU-Emissionszertifikate aufgelegt, den WisdomTree Carbon (ISIN: JE 00B P2P WW3 2). Im April kam noch ein ETC auf kalifornische Emissionszertifikate (California Carbon Allowance/CCA) dazu (ISIN: JE 00B NG8 LN8 9). WisdomTree weist auch auf den Diversifizierungsaspekt eines Investments in CO₂-Zertifikate hin: „Die Kohlenstoffmärkte weisen eine sehr geringe Korrelation mit traditionellen Anlagen auf, und Diversifizierung ist der einzige Free Lunch in der Welt der Geldanlagen“, erklärt Nitesh Shah, Chef des Rohstoff- und Makroresearch von WisdomTree.
Im Dezember 2022 hat auch die Société Générale einen ETC auf den ICE-EUA-Futures-Kontrakt aufgelegt (ISIN: DE 000 ETC 000 1). „Dieser kommt für diejenigen Anleger infrage, die Wert auf die Besicherung legen“, erklärt Kesselhut. Einen etwas anderen Ansatz verfolgt der im Juni 2022 initiierte SparkChange Physical Carbon EUA ETC (ISIN: XS 235 317 729 3). Die Abbildung erfolgt hier nicht über Futures, vielmehr hält der ETC die EUAs tatsächlich – als weltweit erstes börsennotiertes Produkt. „Der ETC verhindert Emissionen, indem es Unternehmen CO₂-Zertifikate vorenthält. Das bedeutet, dass Investoren gleichzeitig einen Beitrag zum Umweltschutz leisten sowie potenzielle Renditen erzielen können“, wirbt das Unternehmen.
Langfristiges Potenzial bis 400 Euro
Renditechance und Diversifizierung, das sind die wichtigsten Pluspunkte der CO₂-Zertifikate. Es gibt aber auch Risiken. Denn die Preisentwicklung hängt stark von der Politik ab. Nicht ausgeschlossen, dass bei weiteren Preisanstiegen die Klagen aus der Industrie bewirken, dass der Preis gekappt wird. Der technische Fortschritt könnte zudem die Nachfrage dämpfen. Auch dass Produkte wie der SparkChange-ETC tatsächlich Emissionen einsparen, wird bisweilen bezweifelt. „Ich halte das für überzogen“, meint etwa der Hamburger Ökonomieprofessor Grischa Perino, der die EU-Kommission bei Reformen des CO₂-Handelssystems beraten hat.
Was die Preisentwicklung angeht, sind andere Häuser deutlich optimistischer, etwa die Unternehmensberatung EY.
„Berücksichtigt man die aktuellen Entwicklungspläne für das EU-Emissionshandelssystem und die politischen Ambitionen der EU in Richtung CO₂-Neutralität, dürften sich die CO₂-Preise mittel- bis langfristig auf ein hohes Niveau bewegen“, erklärt EY in einer Studie zur CO₂-Preisentwicklung. Das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung rechnet für 2030 mit 120 Euro, auf lange Sicht, das heißt bis 2050, sogar mit 400 Euro.
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