Im November wählt Amerika einen neuen Präsidenten. Der Ausgang noch völlig offen, aber das Ereignis wirft bereits seine Schatten voraus. Experten erklären, wie sich Investoren darauf einstellen können und welche Investments in diesem Umfeld attraktiv erscheinen
26.07.2024 | 06:45 Uhr von «Peter Gewalt»
Die Teilnehmer des RoundTables in Frankfurt:
TiAM: Welchen Einfluss haben US-Wahlen in der Regel auf die Börse?
Gerrit Braith: Zumindest historisch sind die Renditen in Wahljahren etwas gedämpfter und die Kapitalmärkte kurzfristig etwas volatiler. Wir bei LOYS sind davon überzeugt, dass Aktien langfristig von ihren fundamentalen Entwicklungen geprägt werden und nicht durch politische Börsen mit bekanntlich kurzen Beinen.
Philipp von Königsmarck: Normalerweise spielen US-Wahlen keine große Rolle für die Entwicklung der Aktienmärkte. In diesem Jahr könnte es etwas anders sein, weil die Ansichten der beiden Kandidaten teils sehr unterschiedlich sind – gerade im Hinblick auf Zölle und Einwanderung. Zudem ist die Chance für ein Sweep-Szenario hoch, also dafür, dass eine Partei durchregieren kann. Das bedeutet, dass einer der beiden Kandidaten sowohl den Senat als auch das Repräsentantenhaus kontrolliert und einfacher Gesetze durchbringen kann, die großen Einfluss haben.
TiAM: Investoren müssen also auch die Wahlprogramme lesen?
Simon Frank: Schaden tut das nicht. Sollte Donald Trump gewählt werden, werden die Auswirkungen wohl nicht so gravierend sein. Die Märkte haben mit ihm ja schon ihre Erfahrungen gemacht, insofern sollte das Überraschungspotenzial dieses Mal nicht ganz so groß sein. Tatsächlich waren in der Vergangenheit die Ergebnisse der US-Wahl für die Aktienmärkte mittelfristig nicht wirklich relevant – und wenn die Republikaner gewonnen haben, war das meist gut für die Börse, weil die Steuern dann meist niedriger sind und die Regulierung zurückgefahren wird. Ob es uns in Europa geopolitisch gefällt oder nicht, ein Sieg Trumps muss für die Börsen kein schlechtes Szenario sein.
TiAM: Gilt das nur für die US-Börsen?
Frank: Da die US-Börsen das Geschehen weltweit beeinflussen, gilt das allgemein. Aus europäischer Sicht ist Trump in Sachen Handelspolitik nicht die erste Wahl. Ich denke, da sind wir uns einig. Aber auch die Demokraten werden in diese protektionistische Richtung gedrängt, weil es Druck von republikanischer Seite gibt
TiAM: Bleiben wir kurz bei Trump. Was passiert, wenn er Präsident wird?
von Königsmarck: Trump hat bereits angekündigt, generell einen Zoll auf Importe in Höhe von zehn Prozent erheben zu wollen, auf Einfuhren aus China von 60 Prozent, bei Gütern aus Mexiko sollen es sogar 100 Prozent werden. In der Verbindung mit den bis 2025 weiterhin niedrigeren Steuersätzen kann das dazu führen, dass die Inflation länger höher bleibt und sich der Zeitpunkt für eine Zinssenkung weiter nach hinten verschiebt.
Braith: Man kann allerdings auch beobachten, dass für beide politischen Parteien eine übereinstimmende Maxime herrscht: Die US-Wirtschaft muss laufen. Daran orientieren sich beide, wenn auch in unterschiedlichen Ausprägungen. Und das ist die gute Nachricht, dass beide die heimische Wirtschaft voranbringen wollen. Trump startete mit „America first“, und Joe Biden führte dies im Grunde bis heute weiter.
TiAM: Also alles wie gehabt?
von Königsmarck: Mit Blick auf die Inflation überhaupt nicht. Die Maßnahmen, die Trump einsetzen möchte, sind tendenziell inflationssteigernd. Allerdings hat der Markt bereits Zinssenkungen eingepreist – und solche Maßnahmen würden dem widersprechen.
Frank: Hinzu kommt, dass beide Seiten unterschiedliche Sektoren fördern. Bei Trump ist es eher die Old Economy, Öl und Gas, eventuell steigen die Verteidigungsausgaben. Bei den Demokraten dürften eher erneuerbare Energien und saubere Technologien im Vordergrund stehen. Zudem darf man nicht vergessen, dass steigende US-Zinsen globale Auswirkungen haben – und sich insbesondere auf Schwellenländer negativ auswirken. Das würde kurzfristig zu einem stärkeren Dollar führen und höhere Zinsen bedeuten, für Schwellenländer weniger Spielraum bei der Refinanzierung.
TiAM: Welche Folgen sehen Sie noch?
Braith: Europa sitzt geopolitisch zwischen den Stühlen. Für die USA spielt Russland eigentlich keine Rolle mehr. Der globale Konkurrent ist China, und die USA setzen alles daran, ihre Weltmachtposition Nummer 1 zu behalten. Ein Handelskrieg ist bereits entfacht. Den gilt es im Auge zu haben.
Frank: Wenn man den Gedanken weiterspinnt, sind wir schnell bei der Feststellung, dass die Verteidigungsausgaben in Europa steigen müssen, damit wir einigermaßen verteidigungsfähig sind. Denn unter Trump wäre es sicher so, dass die NATO geschwächt wird. Und für uns Europäer muss daher klar sein, dass wir mehr für unsere Verteidigung ausgeben müssen, wenn der amerikanische Schutzschirm wegfällt.
TiAM: Was bedeutet all das für Investoren? Was können sie tun?
Braith: Das wirtschaftliche Schwergewicht der USA ist und bleibt unbestritten. Unserer Meinung nach gehören amerikanische Aktien in jedes Anlegerdepot, die Frage ist welche, wie viel und was man dazumischt. Daran wird sich nichts ändern, unabhängig davon, wie die Wahl ausgeht. Nebenbei: Auch chinesische Aktien könnten hier langfristig Mehrwerte schaffen. Das BIP dieser Weltmacht spiegelt sich heute en gros noch nicht in deutschen Depots wider.
TiAM: Lohnt es sich noch einzusteigen?
Braith: Während bei den meisten US-Bluechips die Bewertungen bereits über proportional zu den jeweiligen Gewinnentwicklungen angestiegen sind, besteht bei Small Caps eine erhebliche Divergenz zwischen den positiven Fundamentaldaten und deren Aktienkurs. Hierin sehen wir großes Aufholpotenzial.
Frank: Insbesondere in der zweiten und dritten Reihe findet man einige sehr interessante Aktien. Die letzten Jahre waren geprägt von Zuflüssen in ETFs, die zu der aktuellen hohen Indexkonzentration geführt haben. Mittlerweile haben sich die „Glorreichen 7“ auf die „Fabulösen 4“ ausgedünnt. Was man aber nach wie vor sieht, ist eine historisch hohe Bewertungsprämie – gerade im Vergleich zu europäischen Counterparts. Auf beiden Seiten des Atlantiks wachsen die Unternehmen in etwa gleich stark, und man muss sich fragen, ob die hohe Bewertungsprämie in den USA auch mittelfristig gerechtfertigt ist – oder ob man sich in Europa umschaut.
TiAM: Wie sehen Ihre Prognosen für die nächsten Monate aus?
Frank: Vor allem sollten Anleger sich nicht von kurzfristigen Entwicklungen ins Bockshorn jagen lassen. Die kann man nun einmal nicht voraussehen. Sie sollten sich auf die langfristigen Faktoren konzentrieren – das können Megatrends sein oder andere fundamentale Wachstumstreiber. Wenn man das tut, kann man auch kurzfristige Entwicklungen überstehen. Wenn man in guten Aktien investiert ist und die korrigieren zehn Prozent, dann ist es halt so. Dann nutzt man die Gelegenheit, um nachzukaufen. Es gilt, mit Überzeugung zu investieren und langfristig zu denken, dann kann man auch Unsicherheiten wie bei einer Wahl überstehen.
von Königsmarck: Wir halten es mit „Prepare, not predict“. Wir verwenden keine Zeit darauf, Vorhersagen zu treffen, weil sie mit Unsicherheiten behaftet sind. Unser Ziel ist es vielmehr, ein Portfolio widerstandsfähig aufzustellen und es so in die Lage zu versetzen, unterschiedlichen Szenarien gerecht zu werden. Das bedeutet in aller Regel, keine übermäßigen Positionen einzugehen. Durch den Discount-Mechanismus ist es ohnehin so, dass die Marktentwicklung vorweggenommen wird. Am Wahltag wird es zu spät sein, irgend etwas zu verändern. Statt zu prognostizieren, verwenden wir unsere Zeit und Energie darauf, uns vorzubereiten.
TiAM: Und wie bereiten Sie sich vor?
von Königsmarck: Im Grund ganz klassisch durch eine breite Diversifizierung, durch die wir viele Regionen, Sektoren und Assetklassen abdecken können. Wir vermeiden übermäßige Konzentrationen und die damit verbundenen Risiken.
Braith: Wir sind für die kommenden Monate durch bewusste Aktienauswahl und gezielte Positionierungen bestens gerüstet. Im Fokus stehen Unternehmen mit hoher Qualität, stabilen Geschäftsmodellen und soliden Cashflows, die mit einem Abschlag zum berechneten fairen Unternehmenswert erhältlich sind. Das sind Elemente, die jeder Investor immer gut einsetzen kann.
TiAM: Welche Branchen würden Sie unter solchen Gesichtspunkten wählen?
von Königsmarck: Wir schauen weniger auf Branchen als auf Themen – und da sehe ich zwei, die im Moment attraktive Wachstumsprognosen bei den Gewinnen haben. Das ist zum einen der Energiebereich, der in den letzten Jahren ziemlich gelitten hat, zum anderen das Gesundheitswesen. Hier ist es so, dass die Zyklen in der Entwicklung sehr lang sind. Wenn der Zins steigt, so wie letztes Jahr geschehen, dann leiden Pharmaunternehmen durch den Discount-Faktor besonders, weil ihre Produkte lange Zeit brauchen, bis sie auf den Markt kommen, und erst weit in der Zukunft Erträge erzielen. In diesem Jahr sieht es in dem Sektor anders aus. Die Gewinnaussichten sind gut, und wir würden erwarten, dass Pharmaunternehmen sich gut entwickeln.
Frank: Aus unserer Sicht ist die Technologiebranche interessant, allerdings abseits der ausgetretenen KI-Pfade. Künstliche Intelligenz ist natürlich ein wichtiges Thema, aber viele Titel sind mittlerweile schon sportlich bewertet. Wir schauen uns unter anderem bei solchen Technologien um, die man für die Energiewende braucht. Die haben noch nicht alle auf dem Schirm, und es lassen sich echte Wachstumsgeschichten finden, wenn man sich die Mühe macht, sie zu suchen. Ähnliches gilt für Gesundheit und Biotechnologie. Hier wird der Markt von Eli Lilly und Novo Nordisk dominiert, und viele andere attraktive Aktien wurden ignoriert oder abgestraft.
TiAM: Was muss denn passieren, damit solche Werte entdeckt werden?
Braith: Wenn ich mir für Nebenwerte etwas wünschen dürfte, wäre es eine Zinssenkung der FED und der EZB. Dies wäre hier ein positiver Treiber, wobei es für jedes Unternehmen einen eigenen Katalysator wie etwa den Gewinn eines Großkunden geben kann, um eine Aktie wachzuküssen. Als aktiver Fondsmanager kann man hier antizyklisch Chancen nutzen.
von Königsmarck: Und natürlich spielt das Gewinnwachstum solcher Werte eine große Rolle. Dann kommen die Fundamentaldaten zur Geltung, die die Entwicklung beflügeln.
Frank: Langfristig werden die Aktienkurse solcher Unternehmen den fundamentalen Daten folgen, wenn auch nicht unbedingt jeden Monat oder jedes Kalenderjahr. Im Augenblick liegt der Fokus auf den „Glorreichen Sieben“, generell auf Indexschwergewichten. Aber wenn es dort einmal eine Enttäuschung geben sollte und bei den großen Unternehmen nicht mehr so viel Zug drin ist, dann werden Investoren automatisch auf die Unternehmen schauen, die sie im Moment links liegen lassen.
TiAM: Wir haben bisher über die USA und Europa gesprochen. Was ist mit Japan?
Braith: Der japanische Aktienmarkt erlebt nach 30 Jahren der Stagnation einen neuen Sonnenaufgang. Wie man an den Zahlen sieht, haben sich japanische Aktien in den letzten fünf Jahrzehnten keineswegs nachteilig entwickelt. Japans Wandel findet seinen Niederschlag vor allem in zwei Phänomenen, die bislang eher vernachlässigt wurden: Aktienrückkäufe und höhere Dividendenausschüttungen. Dabei muss man wissen, dass viele japanische Unternehmen sehr komfortabel finanziert sind und oftmals sogar über eine Nettokasseposition verfügen.
Frank: Angeblich hat Warren Buffett gesagt, die japanische Aktienkultur sei heute besser als die amerikanische. Da wendet sich im Moment das Blatt, unter anderem deshalb, weil Unternehmen beinahe gezwungen werden, ihr Kurs-Buchwert-Verhältnis zu verbessern. Generell wird bereits seit Jahren die Corporate Governance in Japan immer besser. Aber auch die Wachstums- und Profitabilitätszahlen sehen gut aus, und die Bewertungen sind weiterhin günstig.
TiAM: Könnten Rohstoffe in dem aktuellen Umfeld eine Alternative darstellen?
von Königsmarck: Es gibt eine aktuelle Umfrage unter großen Fondskäufern, die gefragt wurden, welche Anlageklassen sie aufstocken wollen. Auf Platz 1 lagen Aktien, dicht gefolgt von Rohstoffen. Wenn Rohstoffe, dann könnte man auf die breiten Rohstoffe setzen, die im Bloomberg Commodity Index enthalten sind, oder auf eine Anlagestrategie, die auf Rohstoffe setzt, die für den Klimawandel eine besondere Bedeutung haben .
Braith: Die Welt braucht schon jetzt Energie. Wenn die Wirtschaft anzieht, braucht sie noch mehr davon. Rohstoffe sind daher ein elementarer Bestandteil in unseren globalen Strategien.
TiAM: Das beißt sich aber mit einem nachhaltigen Ansatz.
Frank: Es ist ein Irrglaube, dass man auf grünem Weg große Mengen Rohstoffe fördern kann. Wenn wir die Energiewende hinbekommen wollen, brauchen wir Kupfer, Lithium und seltene Erden, und die müssen wir aus dem Boden holen. Wenn man aber sagt, Rohstoffe zu gewinnen sei nicht sauber genug, dann wird es mit erneuerbaren Energien nichts. Die Lösung könnte ein Best-in-Class-Ansatz sein.
TiAM: Taugen Anleihen für ein Wahlkampfjahr?
Frank: Schwellenländeranleihen sehen interessant aus, da liegt die Rendite von Staatsanleihen im Hartwährungsbereich bei acht Prozent. Wenn man Unternehmensanleihen nimmt, gibt es nochmals 100 Basispunkte obendrauf. Allerdings könnte der Ausgang der US-Wahl etwas Volatilität in die Spreads bringen. Wenn Trump seine Ankündigung wahr macht und Zölle von 100 Prozent auf Waren aus Mexiko erhebt, dann sollte man sich schon mal den einen oder anderen Wert auf die Watchlist setzen und dann zugreifen, wenn die Renditen noch attraktiver, vielleicht sogar zweistellig werden.
Alles zu den Fondsfavoriten der Experten lesen Sie heute hier um 14 Uhr
Zur Information: Das Interview wurde vor dem Verzicht von US-Präsident Joe Biden auf eine erneute Kandidatur aufgezeichnet.
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