Noch EZB-Chef Mario Draghi hat bei der gestrigen Sitzung deutlich gemacht, dass in der Eurozone die Reise weiter in Richtung noch niedrigerer Zinsen geht. Damit befindet sich die EZB im Gleichklang mit anderen Notenbanken.
26.07.2019 | 13:00 Uhr von «Christian Bayer»
Die von manchen Marktteilnehmern gestern erhoffte Zinssenkung der EZB blieb
aus. Die Märkte reagierten prompt: Nach einem positiven Start in den Tag setzen
sich bei DAX und Euro STOXX 50 zum Handelsschluss die Bären durch. Doch
aufgeschoben ist nicht aufgehoben, da sind sich die Experten einig. „Draghi und
die EZB haben sich in den letzten Jahren angewöhnt, die Märkte mit ihrem
zurückhaltenden Vorgehen zu überraschen - aber heute ist es ihnen nicht
gelungen. Die Zinsen wurden nicht weiter in den negativen Bereich gesenkt, aber
dies ist noch im September wahrscheinlich“, so Gerry Fowler, Investment
Director bei Aberdeen Standard Investment.
Mit Blick auf die FED-Sitzung am 30.
und 31. Juli erläutert Fowler: „Die Märkte haben sich bisher auf die
Neuigkeiten in Bezug auf den Euro nicht viel bewegt und die Renditen von
Bundesanleihen sind zunächst leicht gesunken. Das bedeutet, dass die Messlatte
für die Fed nicht ganz so hoch liegt, wie sie nächste Woche hätte liegen
können. Wir erwarten, dass sie dann die Zinsen senken wird, aber eine Lockerung
der EZB und ein schwächerer Euro heute, hätten es Powell erschwert, einen
erneuten Sturm auf Twitter oder eine umgehende Intervention von Präsident Trump
in Bezug auf den US-Dollar zu vermeiden.“
Für Hetal Mehta, Senior European Economist bei Legal & General Investment
Management, ist der Weg zu weiteren Zinssenkungen bei der EZB ebenfalls klar: „Die
geldpolitische Lockerung wird kommen, und zwar bald. Mögliche Optionen sind
dabei ein abgestufter Einlagenzinssatz, weitere geldpolitische
Lockerungsmaßnahmen und Zinssenkungen. Draghi und der Rest des EZB-Rates wollen
so demonstrieren, dass ihnen die Instrumente nicht ausgegangen sind.“ Zu den
erwarteten Instrumentarien rechnen Experten auch das Wiederaufleben von Bond-Käufen
durch die EZB.
Wolfgang Bauer von M&G, Manager des M&G (Lux) Absolute Return Bond Fund, warnt,
dass Anleger durch die Geldschwemme konjunkturelle Risiken ausblenden: „Und
diese türmen sich in Europa. Kurz vor der Ankündigung der EZB – und von den
Marktteilnehmern kaum beachtet – war der ifo Geschäftsklimaindex auf den
niedrigsten Stand seit April 2013 gesunken. Die Gefahr: Anleger könnten zu
selbstgefällig werden, sich völlig auf die zurückhaltende Geldpolitik verlassen
und so die anhaltenden Risiken am Ende des Konjunkturzyklus ignorieren.“ Ariel
Bezalel, Fondsmanager bei Jupiter, verweist darauf, dass ein Höchststand von
Anleihen, nämlich 13 Billionen US-Dollar, weltweit negative Renditen aufweisen.
Allein in Europa würden Unternehmensanleihen im Wert von 500 Milliarden Euro
mit negativen Renditen verzinst.
Bezalel sieht die US-Wirtschaft auf eine Rezession zusteuern: „Besonders
hervorzuheben ist, dass der derzeitige wirtschaftliche Aufschwung in den USA
der längste Aufschwung in der Geschichte des Landes seit Beginn der
Aufzeichnungen im Jahr 1854 ist. Das allein sollte ein Warnsignal sein. Die Fed
ist kaum noch in der Lage die Wirtschaft weiter anzukurbeln. Mit einer
billionenschweren Bilanz und Zinsen, die mit 2,25 bis 2,5 Prozent immer noch
nahe den historischen Tiefstständen liegen, steht die Fed weiterhin unter Druck“
so der Experte. „Die US-Zinssätze werden in den nächsten 12 bis 18 Monaten
wahrscheinlich auf Null fallen, womöglich einhergehend mit einer weiteren Runde
der quantitativen Lockerung. Der Goldmarkt scheint dies bereits zu
antizipieren, was sich in der kräftigen Goldrally seit Beginn des letzten
Monats widerspiegelt.“
Drastisch fiel die Zinssenkung in der Türkei aus. Die Geldpolitik des Landes wird mittlerweile nicht mehr durch eine unabhängige Notenbank bestimmt, sondern von der Politik bestimmt. Am 6. Juli wurde der türkische Notenbank-Chef Murat Çetinkaya von Präsident Erdogan aus dem Amt gedrängt und durch seinen Stellvertreter Murat Uysal ersetzt. Uysal hatte gestern mit einer radikalen Zinssenkung um 4,25 Prozentpunkte auf 19,75 Prozent die Märkte überrascht. Experten hatten maximal einen Rückgang um zwei bis drei Prozentpunkte erwartet. Weitere Zinssenkungen im Laufe des Jahres in der Türkei sind wahrscheinlich.
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