Das Jahressteuergesetz 2020 hält für Anleger eine Reihe von Überraschungen bereit. Dazu gehört auch eine neue Regelung für Zertifikate, die bei Laufzeitende kein Bargeld, sondern ETFs zurückzahlen.
16.04.2021 | 06:15 Uhr
Der Zertifikate-Kosmos ist sehr, sehr bunt. Die Emittenten haben sich in den vergangenen Jahren eine Menge einfallen lassen, um Anlegern ein fast unendliches Sammelsurium an Investmentmöglichkeiten zu bauen. Besonders beliebt waren zuletzt Expresszertifikate. Das grundsätzliche Prinzip der in vielen Varianten erhältlichen Papiere lautet in der Mehrzahl der Fälle so: Es gibt einen Basiswert. Das ist zum Beispiel in Index wie der Eurostoxx 50. Am Emissionstag des Zertifikats wird ein Betrachtungswert für diesen Basiswert festgelegt. In der Folge wird an festgelegten Stichtagen überprüft, ob der Index höher oder niedriger notiert als dieser Betrachtungswert am Emissionstag. Notiert der Index am Bewertungstag auf Höhe oder oberhalb des Betrachtungswertes, erhalten Anleger eine frühzeitige Rückzahlung plus Bonuszahlung aufs Konto überwiesen. Andernfalls läuft das Zertifikat weiter bis zum nächsten Stichtag, bei gleichzeitiger Erhöhung des Bonus.
In den vergangenen Monaten waren solche Zertifikate auch deshalb beliebt, weil die Börse nur eine Richtung kannte: aufwärts. Oftmals wurden Expresszertifikate deshalb frühzeitig mit Gewinn für die Anleger zurückgezahlt. Der Worst Case, nämlich dass ein Zertifikat bis zum endgültigen Laufzeitende durchläuft, ist bislang vergleichsweise selten eingetreten.
Berater sollten ihre Kunden jedoch in diesem Zusammenhang auf ein neues steuerliches Risiko etlicher Expresszertifikate aufmerksam machen: Manche Papiere sind so gestrickt, dass am Laufzeitende kein Barwert, sondern ETFs ins Kundendepot eingebucht werden, falls der Kurs des jeweiligen Basiswertes den Betrachtungswert des Zertifikats an allen Stichtagen unterschritten hat. Seit Jahresanfang 2021 werden solche Depot-Einbuchungen neu behandelt: Das Zertifikategeschäft gilt mit der Einbuchung der Wertpapiere ins Depot als abgeschlossen. Das Problem dabei: Wie die eingebuchten ETFs steuerlich zu behandeln sind, ist noch nicht abschließend geklärt. Das Bundesfinanzministerium hat sich noch nicht dazu geäußert, wie sie den Wert der ausgezahlten ETFs steuerlich ins Verhältnis zum ursprünglichen Kaufpreis der Zertifikate setzen will. Ungeklärt ist in diesem Zusammenhang auch, welcher Kaufpreis den eingebuchten ETFs zugeschrieben wird. Dabei ist dieser Fakt natürlich wichtig vor dem Hintergrund, dass ja auch die ETFs irgendwann wieder veräußert und der Verkauf dann erneut steuerlich behandelt werden muss.
Interessant in diesem Zusammenhang: Die bestehende Regel für die Einbuchung von einzelnen Aktien, die Expresszertifikaten zuweilen auch als Basiswert dienen, bleibt bestehen: Das Zertifikate-Geschäft gilt in diesen Fällen erst dann als abgeschlossen, wenn die ins Depot gebuchten Aktien wieder veräußert werden. Die Anschaffungskosten für das Zertifikat werden einfach auf die Aktien übertragen. Die dann entstandene Differenz ist steuerlich relevant. Pikant daran ist, dass ausgerechnet Aktien ansonsten steuerlich getrennt von allen anderen Wertpapierarten betrachtet werden. Verluste aus Aktiengeschäften können nur mit Gewinnen aus Aktiengeschäften verrechnet werden.
Fazit: Warum der Gesetzgeber die Einbuchung von ETFs – und übrigens auch die Einbuchung von Indexzertifikaten – aus Zertifikate-Geschäften so unnötig kompliziert hat, dass selbst das Bundesfinanzministerium noch keine Antwort dafür gefunden hat, wie die neuen Regeln praktisch umgesetzt werden sollen, bleibt ein Geheimnis derjenigen, die das neue Steuergesetz beschlossen haben.
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