Die EU sucht aufgrund des bevorstehenden Austritts Großbritanniens nach neuen Einnahmequellen. Im Gespräch ist eine Finanztransaktionssteuer nach französischem Vorbild.
05.11.2018 | 13:30 Uhr
Die EU-Finanztransaktionssteuer liegt in den letzten Zügen. Ursprünglich war geplant, jede Wertpapiertransaktion zu besteuern – ganz gleich, um welche Art von Wertpapier es sich handelt und egal, in welchem EU-Land die Transaktion stattfindet.
Davon ist nicht viel übrig geblieben. Im Laufe der Jahre sprang die Mehrzahl der EU-Länder ab. Und in den Beratungen zwischen den zehn letzten beteiligten Staaten fielen immer mehr Finanzprodukte aus der Steuer heraus: So sollten nach aktuellem Stand der Diskussion die Transaktionen von Derivaten, Staatsanleihen und die Kapitalanlagen von Pensionskassen nicht mehr besteuert werden. Allein schon der Wegfall der Besteuerung von Derivaten kommt einer Kapitulation gleich: Warum Aktientransaktionen besteuert werden sollen, Transaktionen von Indexzertifikaten oder ETFs jedoch nicht, konnten auch verkniffene Befürworter der Finanztransaktionssteuer zuletzt nicht mehr schlüssig erklären.
Das Ende des unseligen Projekts ist nun absehbar: Die Gruppe der zehn Länder wird im Dezember zusammenkommen, um über ein mögliches Ende ihrer Arbeit zu entscheiden. Deutschland, Frankreich, Österreich, Belgien, Spanien, Griechenland, Italien, Portugal, die Slowakei und Slowenien werden die Akte vermutlich schließen – allerdings nur, um gleich im Anschluss eine neue Steuer zu diskutieren. Der Arbeitstitel: EU-Aktiensteuer.
Die Finanztransaktionssteuer ist so vermutlich vom Tisch, doch der Gelddurst der EU-Mitgliedskasse bleibt – insbesondere vor dem Hintergrund des Brexit. Mit den Einnahmen aus einer EU-Aktiensteuer könnten die Beiträge aller Mitgliedstaaten zum EU-Haushalt gesenkt werden, so die Hoffnung. Vorgeschlagen hat die neue Steuer der österreichische Finanzminister Hartwig Löger (ÖVP). „Wir denken darüber nach, das französische Modell – also eine reine Aktiensteuer – mit dem nächsten EU-Finanzrahmen zu verknüpfen“, erklärte Löger in einem Interview mit dem Handelsblatt. Konkrete Zahlen und Fakten nannte er leider nicht. Seitdem rätseln Experten, was genau Löger wohl gemeint hat. Hilfreich ist jedenfalls ein Blick auf die Details des französischen Vorbilds:
Die französische Finanztransaktionssteuer wird auf drei Arten von Transaktionen erhoben: Käufe französischer Aktien oder vergleichbarer Wertpapiere, Transaktionen im Hochfrequenzhandel mit Aktien und Käufe ungedeckter Credit Default Swaps (CDS) auf EU-Staatsschulden.
Beim französischen Modell beträgt der Steuersatz je nach Transaktionsart zwischen 0,01% und 0,3%. Der Kauf von Aktien französischer Unternehmen wird mit 0,3% des Gegenwerts der gehandelten Aktien besteuert. Betroffen sind die Aktien französischer börsennotierter Unternehmen, die vom Wirtschafts- und Finanzministerium entsprechend benannt werden. Transaktionen im Hochfrequenzhandel werden ab einem per Verfügung noch festzulegenden Schwellenwert mit einem Steuersatz von 0,01% des Werts einer stornierten oder geänderten Order besteuert. Der Handel mit ungedeckten Credit Default Swaps (CDS) auf ein EU-Land wird mit 0,01 % des Kontraktwerts besteuert.
Transaktionen unterliegen nur dann der Steuer, wenn die in Frankreich ansässige Aktiengesellschaft im vorangegangenen Jahr über eine Marktkapitalisierung von über einer Milliarde Euro verfügte. Nur börsennotierte Aktiengesellschaften werden der Steuer unterworfen, ausschließlich die Netto-Tagesend-Salden werden besteuert, und die Steuer wird ausschließlich auf Käuferseite erhoben.
Steuerpflichtig ist die verantwortliche, kontoführende Einheit. Dies sind Investmentdienstleister oder Broker, die die Transaktion im Namen von Kunden ausführen, auf eigene Rechnung handeln oder der Depotinhaber des Investors, wenn die Transaktion nicht von einem Broker ausgeführt wird. Die „verantwortliche kontoführende Einheit“ ist gesetzlich dazu verpflichtet, die entsprechenden Meldungen vorzunehmen und die Finanztransaktionssteuer an das Finanzamt zu zahlen.
Übrigens: Das französische Vorbild kennt keine Besteuerung der sogenannten „ transaction chain“, sodass ausschließlich der erste Investmentdienstleister, der die Kauforder vom Käufer erhält, steuerpflichtig ist. Ausgenommen von der Besteuerung sind zudem sogenannte Market-Making-Aktivitäten.
Wollen die EU-Staaten das französische Modell auf europäischer Ebene umsetzen, müssen sie noch einige Fragen klären. Zum Beispiel: Wie werden Index-Zertifikate und ETFs besteuert? Und vor allem: Was passiert mit den Einnahmen, die der französische Staat derzeit mit seiner rein nationalen Transaktionssteuer erzielt, wenn es eine vergleichbare EU-Steuer gibt? Muss Frankreich dann seine Aktiensteuereinnahmen an die EU abführen? Die Beratungen darüber werden auf jeden Fall spannend.
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